Interview & Review: KMFDM / 11.08.2017 / Berlin

Ein Treppenhaus-Interview über‘s Hunde spazieren führen, Ultra-Heavy Beats und Vokuhila führte Redakteurin Ginger – mit Fotografin Steph als Zuhörerin – mit niemand geringerem als Käpt’n K a.k.a. Sascha Konietzko von KMFDM, der mit seiner Band nach 5 langen Jahren mal wieder Halt in der Bundeshauptstadt machte.

Mit am Start waren, nebst Songs des neuen Albums HELL YEAH (ein Review dazu findet ihr hier), natürlich auch wieder die bezaubernd-verführerische Lucia Cifarelli und Drummer Andy Selway. An den Gitarren gab es diesmal jedoch zwei neue Gesichter: Chris Harms und Pi Stoffers von der Dark Rock/Metal Band Lord Of The Lost.

Wie das alles kam und noch viel mehr, dass erfahrt ihr jetzt:

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Ginger: Beschreibe mal den KMFDM Sound in 2017.

Sascha: Ähm was? 2070?

Ginger: 2017!

Sascha: Tja das ist so wie mit dem Maler, der sein eigenes Bild erklären soll. Das ist irgendwie ein bisschen schwer zu sagen. Ich hab mich da selbst noch nicht so ganz reingehört. Wir haben jetzt 9 Tage, glaube ich, geprobt, ein Konzert und es hat geklappt. Zum Teil irgendwie mit’m Hosenboden abgeschlittert aber… naja, war ganz cool. Aber das werdet ihr ja nachher hören, dann könnt ihr das auch beschreiben.

Ginger: Das machen wir! Die bisherigen Vorbands – auch genau wie FORMALIN heute – würd‘ ich mal dem Industrial zuordnen. Im Hinblick auf die UK und US Tour nehmt ihr Lord of the Lost mit, die ja eher dem Metal Bereich angehören. Wie kommt das zu Stande, ist das nicht ein Widerspruch?

Sascha: Also erstmal denke ich nicht so in Kategorien. Ich würde auch KMFDM nicht als Industrial bezeichnen, sondern wir haben vor vielen, vielen Jahren die Bezeichnung Ultra-Heavy Beat für uns geprägt. Und so lange es irgendwie Beat-betont ist, also Drum-betont ist, kann es KMFDM sein. Ich würde jetzt nicht Ambient Platten machen, mit KMFDM draufstehen. Ähm ja, Lord of the Lost und KMFDM sind zusammen gekommen, dadurch dass sich mein Gitarrist in Seattle selbstständig gemacht hat mit einer Hunde-Spaziergeh-Firma. Er meinte irgendwann „Ich kann keinen Sound mehr ab, ich muss Hunde spazieren führen.“. Und nach ein paar Monaten hat er es dann – was er da alles machen musste, Gewerbeschein… – alles so eingerichtet und meinte ja jetzt verdient er ’nen Tausender die Woche und braucht keine Musik mehr zu machen. Dann hab ich jemanden angerufen, den ich kenne in Hamburg, der Gitarren baut und hab gesagt „Tom, du kennst doch alle möglichen Gitarristen. Sag doch mal wer ist richtig gut?“, „Ja, Chris Harms von Lord of the Lost“. Halbe Stunde später hab ich dann mit Chris telefoniert und wir haben uns getroffen und haben uns sofort irgendwie gut verstanden. Und dann hat er erstmal auf 3 oder 4 Titeln vom ROCKS Album was gespielt. Und parallel dazu hab ich mit ihm auch am HELL YEAH Album gearbeitet. Und dann hat Chris einfach Gitarre gespielt. Und so ist das dann irgendwie zusammengewachsen und wir haben irgendwann gesagt wir gehen auf Tour. Und er meinte „Können wir nicht mitkommen?“ und ich sagte „Ja, du bist doch eh schon dabei, dann könnt ihr auch alle mitkommen.“. So war das – ganz organisch, ganz ungeplant eigentlich.

Ginger: Und hast Du schon im Vorfeld mal einen Lord of the Lost Titel gehört? Also so „Ach, das war von denen?“?

Sascha: Ich hab von denen gehört ja, aber hab das irgendwie… Also ja, es hat mal jemand gesagt „Lord of the Lost sind super geil“, aber da ich jetzt nicht so der Musikhörer bin, hab ich mir auch eigentlich gar nicht die Mühe gemacht jetzt mal Lord of the Lost irgendwie zu googlen oder zu youtuben oder so, muss ich ehrlich sagen *lacht verlegen*. Ja und dann – wann war das denn – letzten Sommer das Konzert in der Freiheit ging ab wie Wuzzie und jetzt vor ein paar Monaten – nochmal Konzert irgendwo in Hamburg – war wieder geil und dann haben wir gesagt so jetzt können wir demnächst mal die Tickets buchen.

Ginger: Was wär‘ für Dich der Worst Case, der auf der UK und US Tour passieren könnte?
Sascha: Wenn einer oder mehrere von uns verletzt wäre und wir die Tournee abbrechen müssten.

Ginger: Jetzt mal ’ne andere Frage, ab von dem ganzen Thema: Was ist der für dich modisch schlimmste Faux Pax in der Geschichte und welchen hast du selber nicht bzw. mitgemacht?

Sascha: Modischer Faux Pax *überlegt*… Ja also ich würde sagen Vokuhila ist irgendwie ziemlich schlimm. Den hab ich auf jeden Fall nicht gemacht *lacht*. Ist das modisch oder nur Frise-technisch modisch?

Steph: Frisur ist Mode *kichert*.

Ginger: Und welchen modischen Faux Pax hast du mitgemacht?

Sascha: Ähm, naja als Junge hatte ich sehr lange Haare, bis zum Arsch irgendwie waren die als ich 14 oder so war. Ich hab Schlaghosen getragen, braune Cordhosen mit Schlag, rosa Samthosen mit goldenen Schnürstiefeln mit weißen Senkeln, ähm… soll ich dir mal mein Führerschein-Bild zeigen, dann weißt du Bescheid *lacht*.

Ginger: Wieder zurück zur US Tour: Du hast ja viele deutsche Texte und Textauszüge, wie reagiert denn eigentlich das amerikanisches Publikum darauf?

Sascha: Ja die finden das cool. Ich meine, in Amerika sagt dir eigentlich jeder „Ich bin auch Deutscher“ oder „Ich komme auch aus Schweden“ oder was weiß ich schottisch oder irisch. Und Deutschland finden die besonders cool, weil das für die so… wie „Nazisprache“ ist, hart und guttural. Das kennen sie aus Filmen, die bösen Leute sind immer deutsch, haben immer ’nen schweren Akzent. Das finden die Ami’s immer ganz gut.

Ginger: Wann wird es das „KMFDM Kookbook“ Book geben? Du hast ja im Vorfeld sehr viele leckere Rezepte gepostet.

Sascha: Ja da müssen wir mal gucken. Erstmal haben wir ja noch `was zu tun und dann mal schauen. Unsere Plattenfirma hat auch einen Buchverlag. Vielleicht kann man die beschwatzen, dass die ’nen bisschen Geld raus tun und… zumindest für schönere Fotos sorgen.

Ginger: Es ist ja auch die passende Schürze im Merch dabei.

Sascha: Ja, in Amerika werden wir die Kochschürzen dabei haben. „Ultra-Heavy Eats“ steht da drauf.

Ginger: Du hast ja mal ein wunderbares Cover gemacht von These Boots Are Made For Walking. Mal wieder ein Cover geplant?

Sascha: Im Moment nich‘. Irgendwann mache ich nochmal ein Cover von „Sugar, Sugar“ von … wie hießen sie noch? … The Archies *trällert den Refrain*

Ginger: Du hast ja zu den regulären Alben auch immer die Remix-Alben. Wird es von HELL YEAH auch eins geben?

Sascha: Ich glaub‘ nicht. Lieber ein Neues. Die Remix-Alben sind ja nichts was wir so machen wollen, sondern das ist immer: Die Plattenfirma will dann immer noch einen nachlegen und… ja.

Ginger: Aber macht Spaß, oder?

Sascha: Remix-Alben? Geht so. Manche Stücke machen Spaß, manche auch nicht so. Und ich finde immer die meisten Remixe, die jetzt andere Leute für uns machen finde ich meistens eigentlich ziemlich uninspiriert. Zum Beispiel der Lord-Remix von „Hell Yeah!“, der ist geil. Als ich den zum ersten Mal gehört habe, hab ich gedacht „Wer hat denn das jetzt gesungen?“. Die haben einfach mit den 2 oder 3 Noten, die ich da “gesungen“ habe… weil sie auch so richtige Musiker sind, nicht so autodidaktisch wie ich, haben sie sich gedacht „Ja, da passt das und das und das“. Und das Ganze wird so total bombastisch und geil. Also echt anders.

Ginger: Da wir vorhin bei so außergewöhnliche Jobs wie Hundeausführer waren: Kannst Du dich an deinen skurrilsten Ferienjob erinnern?

Sascha: Ich hatte unter anderen zwei skurrile Jobs. Der eine war: Morgens um vier von Hamburg nach Tostedt raus, anderthalb… naja Stunde auf der Autobahn und da bei einer Schlachterei Pansen abgeholt, den dann klein geschnitten im offenen Fort Transit. Es hat bestialisch gestunken. Und dann war es meist so gegen kurz nach Acht – halb Neun – Neun, da tauchte ich in der Schule auf. Die anderen Mitschüler haben immer gesagt „Alter, du stinkst! Das geht überhaupt nicht!“. Und dann habe ich mal einen Job angenommen für so eine Freund eigentlich, der meinte „Ja, ich fahr‘ jetzt in die Ferien und kannst du nicht meine Wohnung tapezieren?“ Und ich brauchte tierisch dringend Geld. Und hab‘ gesagt „Klar mach‘ ich.“ Ich hatte keine Ahnung wie man tapeziert.

Hab‘ dann also tapeziert. Es war im Sommer. Ich hab tierisch geschwitzt. Und dann hab ich gedacht „Jetzt mach ich mal das Fenster auf und setz‘ mich mal auf den Balkon und rauch‘ eine“. Hab‘ da eine geraucht und hörte es schon so „Schüühh-schüühh“… so komische Schlürr-Geräusche. Und als ich dann reinguckte, waren alle Tapeten abgegangen. Ich wusste eben nicht dass man beim Tapezieren die Fenster geschlossen halten musste. Naja das war… kann man halt so machen, wird halt kacke.

Aber ich hatte noch andere skurrile Jobs, aber irgendwie fällt mir im Moment nichts so Richtiges ein… *überlegt*… Ach doch! Ich hab mal in so ’ner Schlange gewartet am Hafen. Morgens um 4, 5 oder so kriegt man da irgendwelche Jobs. Also manchmal irgendwas Ausladen oder so. Und dann kommt der Typ zu mir und sagt „Du bist schön dünn“, ich so „Ja?!“, „Ja komm mit“. Ich sag‘ „Was gibst du denn?“; „400“; ich so „400? Geil!“. Dann haben die mich in so ’nen Anzug gesteckt, wie so ’ne Art Taucheranzug, aus so ’nem komischen Material und dann wurden wir in so ’nen Öltanker irgendwie abgeseilt und mussten mit Schrubb-Bürsten so Ölzeug wegmachen. Und irgendwie fingen erst meine Kniekehlen an zu brennen, dann brannte es im Schritt und dann brannte es irgendwie so hier *zeigt auf die Mitte seiner Brust*. Ich stand halt so bauchtief in diesem Zeug. Naja gut, ich hab meine 400 Ditschen gekriegt, hab dann diesen Anzug ausgezogen und war Feuerrot. Das hatte ’nen Leck das Ding und dann hatte sich… meine ganze Haut war irgendwie so angeschwollen. Ich sah aus wie so ’ne Erdbeere, aber wirklich. Gut, genug davon.

Ginger: Wie hat es Dich eigentlich wieder zurück nach Hamburg verschlagen?

Sascha: Das ist meine Heimatstadt und nach knapp 20 Jahren USA und George Bush hatte ich irgendwie die Schnauze voll und hab gesagt „Jetzt geht’s nach Hause“. Außerdem war Lucia grade hochschwanger mit unserer Tochter und irgendwie ergab sich das alles ziemlich schnell. Ich glaube, innerhalb von 3 Tagen hatten wir dann den entsprechenden Schluss gefasst wir verkaufen hier und ziehen da ein.

Ginger: Nehmt ihr eure Tochter mit?

Sascha: Die ist hier. Die ist immer dabei. Ich kann ja aber auch nicht mehr als einen Tag ohne sie. Und da kommt sie immer mit. Sie hat auch auf’m Tourbus Laufen gelernt, hat bestimmt schon 10 Touren gemacht. Hat eben Schlagzeug gesoundcheckt – sehr cool. Wird auch glaub ich nachher beim Konzert dabei sein. Ist die Kleine mit den Gun Muffs.

Ginger: Dann würd‘ ich jetzt die Abschlussfrage stellen – ganz obligatorisch banal: Dein Rat an die Zuschauer an den Fernsehgeräten?

Sascha: Gucken Leute noch Fern? Echt? Ähm… ja warte mal, da hatten wir doch mal was: Shut down your television and live!

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Diesen sehr trefflich formulierten Abschlussworten von Sascha Konietzko nahmen wir uns dann auch umgehend an, als wir uns im 2. Floor des Nuke Clubs zur noch in Dunkelheit getauchten Bühne (zum Leidwesen unserer Fotografin wurde es auch nicht wesentlich besser) pirschten, um gut zweieinhalb Stunden brachialen Elektro-Industrial-Rock zu genießen.

Und das ging schneller als gedacht, als die Supportband Minuten vor dem offiziellen Start um 20 Uhr die kleine Bühne stürmte und mit Salvation loslegte, nachdem Sänger Tominous noch kurz klarstellte „Wir sind FORMALIN aus der Stadt.“. Dass sie stadtbekannte und ideale Anheizer für den Headliner waren, konnte man am Publikum ablesen, was sich Song für Song langsam vermehrte und sich zusehend immer stärker den Beats hingaben, die Gabor aus den Tasteninstrument vor sich rausholte. Bei Faker präsentierte er sich dem feiernden Publikum zusätzlich an der Gitarre – also auch so ein kleines Universaltalent 🙂 …

Eine knappe Stunde später war kaum ein leeres Fleckchen auf dem knapp 250 Gäste fassenden Floor mehr zu ergattern, als die ersten Töne von D.I.Y. erklangen – einem Klassiker von KMFDM, gefolgt vom Titelsong des aktuellen Albums Hell Yeah. Generell las sich die Setlist wie ein Durchmarsch einer über 30-jährigen Musikgeschichte, wo wirklich für Jeden etwas dabei war. Selbst in die bis dato noch nicht veröffentlichten Songs wie Murder My Heart und Glam Glitz Guts & Gore fanden sich die Berliner und Zugereisten aufgrund der eingängigen Melodien schnell hinein, beinhalten diese Stücke doch immer auch den typischen KMFDM Sound. Und obwohl es erst der zweite Auftritt gemeinsam mit den Szene-Größen war, schlugen sich Chris und Pi an den Gitarren so gut, dass auch eingefleischte Fans sie willkommen aufnahmen und feierten. Wer da war, weiß wovon ich rede. Und wer nicht da war, der greife entweder auf den heute erscheinenden Tonträger zurück oder überzeuge sich live auf einem der kommenden Auftritte in UK + USA.

Und wer weiß, vielleicht berichten wir im Jahr 2070 tatsächlich wieder über einen Auftritt von KMFDM – dann von der ersten generationsübergreifenden Band. Denn der Nachwuchs steht ja schon in den Startlöchern 😉 …

Setlist FORMALIN: Salvation / Tied And Blinded / Above The Sun / Wipe It Out / End Of All Suffering / Faker / Fallout / Supercluster / Deliverance

Setlist KMFDM: D.I.Y. / Hell Yeah / Freak Flag / Light / Amnesia / RIP The System / Rebels In Kontrol / Total State Machine / Burning Brain / Bumaye / Glam Glitz Guts & Gore / Shock / Virus / Murder My Heart / A Drug Against War / WWlll / Hau Ruck / Godlike

Text + Interview: Ginger Chan
Photos: Steph Lensky
11.08.2017 KMFDM @ Nuke Club Berlin
11.08.2017 FORMALIN @ Nuke Club Berlin

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