Live Review: Lord of the Lost / 11.04.2015 / Leipzig

Neues Jahr – neues Album – neue Tour. Auch 2015 muss niemand auf die fünf Dark Rocker von Lord of the Lost live verzichten. Doch diesmal war alles anders.

Nach ihrer erfolgreichen „From The Flame Into The Fire“-Tour 2014 brachten die Hamburger im März dieses Jahres ein neues Album heraus: Swan Songs. Ein Akustik-Werk mit neuen Songs, aber auch mit alten in neuem, klassischem Gewand, welches auf Platz 34 der Media Control Charts einstieg. Die sonst fünfköpfige Band wuchs schon während der Proben auf 11 Personen an. Neben Chris, Gared, Bo, Class und Tobias kamen noch Pianist Corvin, der die Jungs auch im Studio immer wieder unterstützt, die vier Streicherinnen Trine, Joke, Gillian, Maline und Bläser Alex hinzu.

Zu jedem neuen Album gehört auch eine Tour. So startete die „A Night To Remember“-Tour erfolgreich auf dem Out Of Line Weekender in Berlin. Nach Frankfurt am Main und Hamburg machten die Herren auch in Leipzig halt. Lord of the Lost mit ihrem Akustik-Set und Support Florian Grey lockten viele Leipziger und Zugereiste an und sorgten für ein ausverkauftes Haus. Es versprach ein unvergesslicher Abend zu werden.

Schon vor den Türen der Theaterfabrik fiel auf, dass sich erstaunlich viele Gäste dem Anlass entsprechend sehr chic und edel gekleidet hatten. Pünktlich um 19.30 Uhr gingen die Türen auf und der für Lord of the Lost Konzerte typische Andrang auf die vorderen Plätze begann. Der Theatersaal war zwar recht passend und romantisch dekoriert – ein Sternenhimmel und Stühle mit rotem Samt – dennoch wirkte er irgendwie etwas drückend. Eine offenere und luftigere Location oder sogar eine Kirche, wie etwa in Bochum, wäre dem Anlass angemessener gewesen und hätte dem Abend den letzten Schliff gegeben. Auf jedem Stuhl lag eine Art Programmheft mit dem Ablauf des Abends, dessen Rückseite gleichzeitig als Autogrammkarte diente. Es versprach ein gesitteter Abend zu werden, denn auch der übliche Prä-Konzert Wahnsinn lief vergleichsweise ruhig ab. Die Fans suchten sich ihre Plätze und versorgten sich mit Getränken. Die Möglichkeit des Sitzens machte das Warten auf den Beginn jedenfalls deutlich gemütlicher.

Und dann wurde es dunkel, erste Nebelschwaden zogen durch die Reihen und der Zauber begann. Florian Grey betrat gemeinsam mit seinen zwei Gitarristen die Bühne und sie begannen ihr Spiel. Sie spielten 7 Songs – ältere Titel, ebenso wie Songs vom kommenden Album Gone. Mit kraftvoller Stimme, die von hohen bis zu den tiefen Tönen alles sicher abdeckte, und gefühlvoller Ehrlichkeit konnte Florian Grey überzeugen und dem Publikum einheizen. Doch, so gut er auch war, Support bleibt Support und die Fans konnten es kaum erwarten endlich Lord of the Lost auf der Bühne zu sehen.

Nach einer kurzen Umbaupause betraten die vier Streicherinnen des „Swansembles“ die Bühne und begannen zu spielen. Es folgten Gared und Corvin, Tobias, Bo, Class und Alex. Als letzter betrat unter tosendem Applaus Chris Harms die Bühne und begann zu singen. Schon die ersten paar Zeilen verursachten bei mir eine Gänsehaut, die sich an dem Abend mehrfach wiederholen sollte. Und spätestens beim dritten Titel Prison flossen auch erste Tränen der Rührung. Die Jungs bewiesen ihr Talent und Können an Akustikgitarren – auch Trommler Tobi zeigte, dass sein hartes Üben an der Gitarre Früchte trägt – am Piano und am Cello. Wenn Chris selbst nicht am Cello saß, so drehte er sich in den instrumentalen Parts immer wieder um und begutachtete die zehn wunderbaren Musiker hinter sich.

Sein Gesang war trotz ruhigerer Versionen der Songs kraftvoll, energiereich und trotzdem irgendwie unbeschwert. Seine Stimme brach immer wieder fast, doch das lag vermutlich an seiner Heiserkeit. Aber auch das harmonierte sehr gut mit der klassischen Interpretation der Lord of the Lost-Songs. Außerdem waren seine wiederholte Bitte nach Ingwer-Tee und das ihm entgegen schlagende Mitleid aus dem Publikum wirklich die Lacher des Abends: „Juhu wir werden erwachsen, ich komme in den nächsten Stimmbruch„.

Das Publikum, welches sonst jeden Song mit grölt und sich selbst in Sachen Lautstärke zu übertrumpfen versucht, war unfassbar ruhig. Diese respektvolle Stille war beinahe schon beängstigend, doch Chris meinte „Es ist unglaublich magisch, wenn uns diese Stille entgegen schlägt„. Dies lässt für jene, die kein Ticket mehr ergattern konnten, einen steifen Abend vermuten, doch nein – mit Witz und Charme lockerte Harms zwischendurch immer wieder auf: „Warum guckt ihr denn alle so traurig? Ich versteh das gar nicht. Aber für Alle, die so traurig gucken, wir haben ein ganz neues Merch-Produkt: Taschentücher!„. Und die wurden zu genüge benötigt. Die für mich schönsten Augenblicke, die Gänsehaut und Pipi in den Augen verursachten, waren bei Annabel Lee, October 29 und If Johnny Cash Was Here. Bei Letzterem – der ersten Zugabe – saßen Chris und Bo auf dem Bühnenrand und perfomten so gefühlvoll, dass in vielen Reihen immer wieder zum Taschentuch gegriffen wurde.

Ich muss gestehen, ich persönlich fand die älteren Songs im neuen Gewand fast besser, als die Originale und die neuen Titel. Und auch die Band schien an der Klassik Version mancher Songs mehr Spaß zu haben, beispielsweise bei Afterlife und Six Feet Underground. Typische „die dürfen nicht fehlen“-Songs wie Beyond Beautiful und Dry The Rain waren logischer Weise auch Teil der Setlist. Ebenso wie der abschließende obligatorische „Scheibenwischer“-Song Credo. Es war überaus beeindruckend, wie die ausverkaufte Theaterfabrik geschlossen und im Sitzen zu Credo die Arme bewegte und „We give our Hearts to the Lord of the Lost“ mitsang. Belohnt wurde dieser bewegende und einmalige Abend mit minutenlangen Standing Ovations.

Schon allein die Jungs im Anzug zu sehen, war die Reise nach Leipzig wert. Es war ein ungewohnter Anblick, die eigentlichen Energiebündel so ruhig auf der Bühne zu erleben, aber es war definitiv etwas Besonderes. Lord of the Lost zeigten mit diesem Auftritt – und mit dem Album Swan Songs – dass sie nicht nur ganze Hallen rocken können, sondern auch die ruhigeren Töne meisterlich beherrschen. Wo sonst Bässe auf Herz und Bauch einwirken, so gingen diesmal Chris‘ Stimme und klassische Instrumentenklänge durch Mark und Bein und berührten tief. Der Abend war ein absolutes emotionales Feuerwerk. Perfekt, um auch einfach mal die Augen zu schließen und zu genießen – total anders und doch Lord of the Lost. Pur und von schlichter Einfachheit. Wahrlich „A Night To Remember“. 

Setlist Florian Grey: Gone / My Fear / Laudanum / The End / Blurry (Puddle of Mudd Cover) / A Black Symphony / The Way / Die

Setlist Lord of the Lost: Prelude / Lost In A Heartbeat / Prison / Till Death Us Do Part / Porcelain / This Life Divided / Go To Hell / So Good It Hurts / See You Soon / Afterlife / Annabel Lee / Somewhere / Beyond Beautiful / The Sand Of Time / Love In A Time Of War / October 29 / Antagony / Dry The Rain / Sober / If Johnny Cash Was Here / Six Feet Underground / Credo

Text: Steph Lensky
Photos: Mandy Privenau

[Edit] Unser Review zum DVD-Mitschnitt aus Hamburg findet ihr hier.

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