Zum 15. Jubiläum beschenkte sich Eisbrecher selbst mit einem bandeigenen Festival, was idealerweise gleich den Namen der im letzten Jahr erschienen EP aus dem Erfolgsalbum Schock trägt: Volle Kraft Voraus!
Den weiblichen Touch brachte And Then She Came mit Sängerin Ji-In Cho nach Neu-Ulm, Unzucht die gehörige Portion gute Laune, das beste Bühnenoutfit wurde von Gared Dirge von Lord Of The Lost präsentiert und die farbenfrohste Show von Welle: Erdball. Die tanzwilligsten Fans hatte Combichrist dabei und die Band mit dem größten Unterhaltungswert war eindeutig Eisbrecher – bei dem Frontmann auch kein Wunder. Bei Alexx Wesselsky, der wirklich immer und ständig einen flotten Spruch auf den Lippen hat, hört man kein Gag zweimal, kein Spruch klingt ausgelutscht und seine Statements sind absolut offen und ehrlich. So machte er auch keine beschönigenden Worte über die Anzahl der Ticketverkäufte, ohne aber betrübte Stimmung zu verbreiten. Denn wer kein Ticket für diesen Tag erworben hatte, hatte ein sehr entspanntes, fröhliches Festival verpasst. Selber Schuld.
Trotz sengender Mittagshitze hatten sich Fans der Schwarzen Szene vor den Platz der Ratiopharm-Arena* frühzeitig versammelt und warteten geduldig auf den Einlass, der auch pünktlich und gut organisiert losging. Doch anders als vielleicht vermutet stand der Großteil an diesem Samstag nicht so früh an, um einen Platz in den ersten Reihen zu erhaschen, sondern stellte sich sogleich in einer Reihe im Vorraum der großzügig gestalteten Arena auf. Denn ab 13 Uhr schon gab es die erste Autogrammstunde und dies gleich vom Gastgeber Eisbrecher persönlich mit einem symbolisches Begrüßungsgeld. Ein Poster des ersten Volle Kraft Voraus Festivals gab es zudem obendrauf und einen Handschlag vom „Checker“ persönlich. Eine sehr nette Geste, für die sich die Anfahrt nach Neu-Ulm schon einmal gelohnt hatte. Aber das ist ja erst der Anfang. Kommen wir also nun zu den musikalischen Highlights dieses Tages.
Gediegen ging es 15 Uhr dann los mit den „Newcomern“ And Then She Came. Newcomer ist hier bewusst in Anführungszeichen gesetzt, da die Band zwar kürzlich das Einjährige feierte, aber dem Einen oder Anderen so manches Gesicht davon bekannt vorkommen sollte, ist dieses Bandprojekt doch aus Krypteria hervorgegangen. Vielleicht führte der noch nicht so etablierte Name in Zusammenspiel mit der im Vorraum noch stattfindenden Autogrammstunde und die nicht sehr viel kühlere Luft im Saal dazu, dass sich noch nicht viele Gäste vor der Bühne eingefunden hatten. Einen Abbruch der Spielfreude der Aachener tat dies jedenfalls nicht. Wer da war hörte feinsten Alternative Rock und sah eine der sympatischsten Verabschiedung und Danksagung an das Publikum dieses Abends.
Beim zweiten Act des Tages – der freundlichen Unzucht aus der Nachbarschaft – sah es vor der Bühne schon deutlich voller aus. Spekulativ wäre es jetzt zu sagen, dass dies an der Streichung der zeitgleich geplanten Autogrammstunde von Lord Of The Lost im Vorraum lang (die Abreise der Band vom Rock Harz verzögerte sich verkehrsbedingt), da sich beide Bands eine recht ähnliche Fanbasis teilen. Und da Lord Of The Lost die ausgefallene Autogrammstunde auf eigene Faust einfach gegen 19 Uhr an ihren Merchstand nachholten, musste auch keiner traurig sein. Und so war natürlich die Stimmung ausgelassen und die Menschentraube vor der Bühne schon deutlich größer.
Die beiden Daniels der Band – Der Schulz (vocals) und De Clercq (guitar) – schleuderten die deutschsprachigen Texte nur so in die Arena hinein, dass sie sich die Aufforderung zum Krachmachen sparen konnten. Das sich das musikalische Wirken dieser Band innerhalb der nunmehr 3 erschienenen Alben evolvierte, konnte man am Publikum ablesen, die jeder für sich ihr eigenes Lieblingsstück der Rocker hatte.
Anders erging es da der sich nun anschließenden Band, obwohl gerade Lord Of The Lost als mit einer der musikalisch vielschichtigsten Bands gilt. Das Festivalset war so gut abgestimmt, dass eigentlich niemand irritiert dastehen musste wegen einer stilistischen Achterbahnfahrt. Gut, vielleicht bei La Bomba, aber das wäre dann auch so zu erwarten und gewollt. Der Rest machte einfach mit.
Aber irgendwie fehlte bei der Live-Umsetzung der gewisse Bums dahinter. Vielleicht reichte den Musikern nach Erreichen der Venue die Zeit dann doch nicht ganz aus sich in Ruhe zu akklimatisieren. Apropos Klima: das ließ in der modernen Ratiopharm-Arena* doch etwas zu wünschen übrig. Falls überhaupt wurde wohl nur mit Außenluft gekühlt, die an diesem Tag im Juli rund 30°C betrug. Und wenn sich selbst der Fronter Chris Harms kurz vor Ende des knapp einstündigen Auftritts nach gut zwei Jahren das erste Mal wieder das Hemd vom Oberkörper reißt, ist das mal eine Ansage.
Ein Fingerspitzengefühl für die musikalischen Geschmäcker zeigten die Organisatoren generell bei der Erstellung der Running Order und gönnten den Rockfans eine bei den Temperaturen wichtige Verschnaufpause als nun Welle: Erdball ins Rennen geschickt wurde. Musikalisch und optisch doch so ganz anders, unterhielt die Kapelle ihre Hörerschaft mit deutschen Texten, unterlegt mit fröhlicher C64-Musik. Man muss kein Nerd sein um das zu mögen. Sich darauf einzulassen reicht schon. Und mit Starfighter hat die Neue-Deutsche-Welle Band ja immer den Catcher für die Freunde der härteren Musik dabei. Geht gut ab. Gerne wieder.
Die energiereichste Show dieses Events lieferte dann eindeutig Combichrist ab. Andy LaPlegua scheint auf Stadienbühnen erst so richtig in seinem Element zu sein. Und gegenüber ihrer „Make Europe Great Again“-Clubtour im Vorjahr ist ihr Rhythm’n’Noise Sound für große Arenen besser geschaffen als für Clubs, denn die Lautstärke und die Abstimmung war – entgegen der Auftritte 2016 zum Beispiel in Dresden und Erfurt – sehr gut balanciert, sodass auch Nicht-Fans schnell mit ihnen warm werden konnten. Apropos warm: Hatte ich übrigens schon erwähnt, dass es wirklich echt stickig war?
Um 22 Uhr war es dann endlich soweit: Die Besatzung des Eisbrechers enterte das Deck, welches durch fleißige Bühnenarbeiter in nur einer knappen halben Stunde errichtet worden war. Und sie feuerten alles ab, was sich als Festival-Setlist über all die Jahre bewährt und etabliert hatte, plus zwei neue Stücke des am 25.08. (Update: der Release wurde auf den 18.08. vorverlegt) erscheinenden Albums Sturmfahrt. Eines davon – Was ist hier los? – kann man bereits jetzt schon erwerben. Der Wahnsinn.
Der Wahnsinn ist übrigens auch, wie es der Kommandant des Eisbrechers verstand auf charmante Art für ein Erlöschen der Handy- und Fotoapparatdisplays zu sorgen. Spot on auf Rupert Keplinger, Jürgen Plangger, Noel Pix, Achim Färber und Alexander Wesselsky, die sich für ihr Publikum in sexy Posen schmissen, um dann in Ruhe die Livepremiere ihrer nächsten Single zu feiern. Dieses Phänomen vom Rang aus zu beobachten war schon sehr beeindruckend. Wie auch der monumentale Bühnenaufbau mit der überdimensionalen LED-Wand und die Lichtshow, die bei diesem Blickwinkel erst so richtig zur Geltung kamen. Die Sitzränge sind übrigens auch noch so ein Plus dieses Indoor-Festivals, neben modernen Sanitäranlagen und einem Sturm- und Regenschutz, wie einst das Amphi-Festival 2015 sehr gut bewies.
Gastgeber Alexx Wesselsky machte aber keinen Hehl daraus, dass diese Ränge bei weitem nicht annähernd gefüllt waren. Er blieb jedoch dabei: „Wir probieren was im Outback!“ und fügte hinzu „Sagt es euren Freunden weiter, denn Eisbrecher wollen das Festival etablieren!“. Und am Line-Up lag es wahrlich nicht. Vielleicht aber doch eher an der schlechten Verkehrsanbindung? Nun, die Organisatoren der ersten Ausgabe des Volle Kraft Voraus Festivals haben gezeigt, dass sie Großveranstaltungen können. Wenn das dann noch mit der Klimaanlage klappt, bin ich wohl wieder in der Arena mit dabei. Denn ihr wisst ja: Sonne macht albern und Regen macht nass. 😉
Text + Photo: Ginger Chan
Photos: Anne Him(Anne HIM Photography)
* Markenname wurde ausschließlich nur im Rahmen des Reviews genannt 🙂