Ohne eine wissenschaftliche Befragungen durchgeführt zu haben, lässt sich vermuten, dass es kaum jemanden da draußen gibt, der nicht einen Song von L’Âme Immortelle kennt bzw. ein Stück von ihnen auf Festplatte oder noch auf Kassette rumliegen hat, wenn nicht sogar eines der 12 Studioalben im Regal stehen hat. Kurzum: von L’Âme Immortelle hat man schon mal etwas gehört und sie vielleicht auch schon gesehen auf dem einen oder anderen Festival. Und tatsächlich habe ich persönlich die Urgesteine des Elektro-Pop bisher auch nur am Tage auf der großen Festivalbühne gesehen (zum M’era Luna 2009 und Blackfield 2015). Und, ganz unabhängig vom Genre, werden mir sicher einige zustimmen, dass Indoor doch noch einmal etwas ganz anderes ist. Und genauso war es auch für mich an jenem Samstag im traditionsreichen Beatpol (vormals Starclub) in Dresden.
Doch bevor sie den Höhepunkt des Abend bilden sollten, galt es 2 Elektro/Synthpop Projekte auf der Bühne zu begrüßen. Dunkelsucht waren dabei im wahrsten Sinne des Wortes die Kücken des LineUp. Wirkte Mastermind Patrick Näf beim Betreten der Bühne zunächst noch wie der Schuljunge von Nebenan, so wurde man eines besseren belehrt, als der Züricher das Mikro in die Hand nahm. Der junge Herr wechselt ohne Schwierigkeiten zwischen dieser für Elektroprojekte typischen kehlig-rauen Stimme hin zu einer wiederrum für SynthPop typischen reinen-melodischen Stimme. Was für ein Organ! Richtig zum Tragen kam dieses Talent bei dem Stück Letzte Nacht.
Dieses Selbstvertrauen darf dann ruhig bei der Bühnenperformance und der Interaktion mit dem Publikum umgesetzt werden. Aber man sollte dabei bedenken, dass dies erst der 7. Auftritt von Patrick Näf (Gesang) und Tim Lindner (Synths) mit dem Musikprojekt Dunkelsucht war und die Lichtshow die Jungs hätte ruhig auch etwas in der Harmonie unterstützen können. Diese Angewohnheit Supports öfters im Dunkeln stehen zu lassen leuchtet mir – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht ein.
VERSUS waren in vielerlei Hinsicht der ideale Zwischenpart dieses Abends, da sie textlich, wie auch erfahrungstechnisch die Brücke schlugen zwischen den Newcomer und dem Headliner. Deutschsprache Texte wechselten sich auf der Setliste mit englischen Lyrics ab, die sich in 17 Jahren Bandgeschichte so zusammengefunden haben.
Und diesmal war es die Tontechnik, die während dieses Auftrittes nicht das Beste aus ihren Möglichkeiten rausholte. Die Stimme aus den Boxen klang unharmonisch und teilweise kratzig, was aber dem Unterhaltungswert im Gesamten keinen Abbruch tat, da André Steinigen sich die Notenpunkte über den Körpereinsatz wiederholte, indem er die Gäste links von der Bühne, rechts von der Bühne und natürlich mittig von der Bühne über das gesamte Set lang animierte. Ich wage einfach einmal zu behaupten, dass mancher 14-jähriger nicht so ein Durchhaltevermögen über eine gute Stunde hätte wie dieser 40-jährige, der mit Bandkollege Roman Forner und Daniel Kresche sogar den Lokalmatador dieser Veranstaltung bildeten und nicht müde wurden zu verkünden, wie glücklich es sie macht in dieser schönen Stadt spielen zu dürfen. Und dies konnte man dem Trio auch wirklich an der Nasenspitze ablesen, die alle Gäste noch einluden nachher in den Bunker Dresden zu kommen, um auf der offiziellen Aftershowparty weiterzufeiern.
Aber bis es soweit war, wurde erst noch ein bisschen im Beatpol gefeiert bei einer reichlichen Auswahl an Biersorten und einer nicht minder reichlichen Auswahl an Non-Alcohol. Denn da der Autofahrer im Allgemein nur die Wahl zwischen einem braunen, einen gelben oder einen farblosen koffeinhaltigen Erfrischungsgetränk hat, lobe ich mir hier das Barpersonal, die die bunte Vielfalt von Fritz-Kola im Regal stehen haben. (So das Schicksal will, werde ich diese bis Ende des Jahres noch so einige durchprobiert haben, zum Beispiel beim bald anstehenden Auftritt von IAMX in dieser Location. 🙂 )
Wieder am Platz erwartete ich mit Fotografin Ines und die etwa 500 Besucher gespannt den Beginn des fünften Konzerts im Rahmen der „Schattenwelten“-Tour. (Hier gibt es den Vorbericht.)
Und dieses begann pünktlich 21:45 Uhr mit den Openern, die auch Opener der Alben Hinter dem Horizont und Jenseits der Schatten sind: Unendlich – Stumme Schreie. Lieder ganz im klassischen Stil von L’Âme Immortelle.
Das darauf folgenden Judgement überließ Thomas Rainer dann seiner Bandkollegin, die es ihm anschließend gleich tat und ihrerseits den NACHTMAHR-Mastermind die Bühne für den Titel Treiben überließ.
Aber die Sänger waren ja nicht alleine da. Der in Deutschland und Niederlande beheimatete Gregor Beyerl und der Schweizer Chris Fox ermöglichten erst durch ihr Können diesen voluminösen Livesound für die beiden Österreicher, besonders bei Fear. Ohne Drums und Keys live kaum vorstellbar, da diese Komposition Kraft und Volumen verlangt und an diesem Konzertabend auch bekam. Und wer hätte denn dann Ich fang dich auf mit so einem Schlag eröffnen können, wenn nicht die beiden Livemusiker? 🙂
Dieses Stück – wie auch schon zuvor bei Treiben – nutzte Sonja Kraushofer um in Kleid No. 3 zu schlüpfen. An solchen Gesten und Konzepten erkennt man, dass Musiker auch Künstler sind, die Geschichten nicht nur in Texten, sondern in den Auftritten und in ihrem Image erzählen möchten. Im Gesamten war die Setliste eine balancierte Abstimmung zwischen fordernden und ruhigeren Songs, zwischen älteren und jüngeren Stücken. Für Es tut mir leid bedurfte es gar nur ein paar Beats bis der Saal jubeln die Message empfing.
Wie viel Sonja Kraushofer das aktuelle Album bedeutet, konnte man durchweg an ihrer Mimik ablesen, ganz besonders als sie zum Abschluss des Hauptprogramms den Titeltrack Hinter dem Horizont sang. Mehr noch als sonst war die Sängerin vollkommen in ihrem Element.
Und in ein Meer der Gefühle wurden die Besucher dann auch gleich zu Beginn der ersten Zugabe getaucht, als sie erneut in die Mitte der Bühne zurückkehrte, ihre Augen schloss und die ersten Zeilen von Shakespears Sister’s Welterfolg Stay in ihrer klaren Stimme anstimmte, zu dem im Saal reflektierenden Lichter tanzten.
Doch noch ehe meine Augen sich vollständig mit salzigem Wasser füllen konnten, stürmte Thomas Rainer die Bühne und übernahm die 3. Strophe und rockte das Ding zu Ende und über die sich anschließenden Klassiker 5 Jahre und Life will never be the same again hinaus. Sie können es nach über zwei Dekaden immer noch!
Setlist Dunkelsucht: Tanznacht / Das zweite Leben (Serpents Cover) / Wenn Liebe das Herz erwärmt / Es ist an der Zeit / Misstrauen / Erholung / Die Letzte Nacht
Setlist VERSUS: Freakwaves / Schenk mir Zeit / A Lonesome Girls Night / Immer da / A Memory in Frames / Lies / Love2Go / Definition: Lost / Into the Galaxy / Welle Sieben
Setlist L’Âme Immortelle: Unendlich / Stumme Schreie / Judgement / Treiben / Fear / Fallen Angel / Ich fang Dich auf / Am Ende aller Tage / Letztes Licht / Es tut mir Leid / Phoenix / Eye of the Storm / Schwerkraft / Tauch mich in dein Licht / Hinter dem Horizont / Stay (Shakespears Sister Cover) / 5 Jahre / Life Will Never Be The Same Again
Text: Ginger Chan
Photos: Ines Dragon (Ines Dragon – Konzertfotografie & more)